Episode 139 -
Futures Literacy & Embodiment

Episode 139 -
Futures Literacy & Embodiment

Könnte unser Körper mit seiner hochsensiblen sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeit der vielleicht wichtigste Transformationsmotor für eine zukunftsfähige Entwicklung sein? Für eine Entwicklung, die im Einklang mit unserem Planeten steht? Für die Suche nach einer möglichen Antwort auf diese Frage verknüpft Martin Ciesielski die Qualitäten von Futures Literacy und Embodiment im Improvisationstheater. 

Die UNESCO definiert Futures Literacy als „Fähigkeit, die es den Menschen ermöglicht, die Rolle der Zukunft in dem, was sie sehen und tun, besser zu verstehen“. Zukunftskompetent zu sein, stärkt demnach die Vorstellungs- oder Imaginationskraft und fördert somit unsere Fähigkeit, sich auf eintretende Veränderungen vorzubereiten, sich von ihnen zu erholen und Neues zu erfinden. Wie könnte eine andere Zukunft unserer Gesellschaft, meiner Familie, unserer Mobilität oder globaler Gesundheit aussehen? Embodiment, also "Verkörperung" ist ein Begriff aus der neueren Kognitionswissenschaft, die die These vertritt, dass wir für unser Bewusstseinsbildung die körperliche Erfahrung brauchen. 

Martin Ciesielski nutzt das Improvisationstheater, um gemeinsam mit anderen in einen Imaginationsraum einzutreten. Im gemeinsamen Imaginieren wünschenswerter, wahrscheinlicher oder alternativer Zukünfte als ganzkörperliche Erfahrung kann ein wirklicher Transformationsmotor entstehen: Indem wir es zulassen, die Schönheit und Würde einer wünschenswerten Zukunft zu spüren, entsteht in uns Sehnsucht, vielleicht verlieben wir uns sogar in diese Zukünfte. Daraus entwickelt sich eine Energie, die so viel kraftvoller ist als ein Vermeidungsziel. Denn ohne Sehnsucht nach dem wünschenswerten Neuen, klammern wir vielleicht weiter am untauglichen, nicht zukunftsfähigen Alten. Denn das verspricht zumindest etwas Sicherheit, weil es schon da ist - egal wie untauglich es sich eigentlich schon zeigt. 

Wir stehen an einer Entwicklungsschwelle: Wir wissen eigentlich, was nicht funktioniert und was anders sein müsste, kommen aber noch nicht ins Handeln. Nach Otto Scharmer müssen wir hierfür durch einen tieferen Prozess des Loslassens und Kommenlassens gehen, um viel mehr auf das antworten können, was uns aus der Zukunft entgegenkommt. Diese Fähigkeit des Loslassens und Kommenlassens beschreibt Scharmer als eine weitere Voraussetzung, um zukunftsfähig zu sein. Das Improtheater kann dafür ein weiterer zentraler Entwicklungsraum sein, denn Loslassen oder Kontrollverluste werden hier provoziert und als schöpferischer Moment mit ungeahnter Freiheit erlebt.

Das inspiriert Martin:

- Nichts. Die Beschäftigung mit philosophischen, künstlerischen, religiösen und humorvollen Zugängen zur Idee des „Nichts“ erweitert nunmehr seit gut 6 Jahren meinen Herzens- und Hirn-Horizont. Das Nicht(s)tun, die Lassenskraft, das Improvisieren aus dem nichts heraus – vieles Qualitäten, die diametral entgegengesetzt sind zur Leistungs- und Ergebnisorientierung unserer Tage. 
Außerdem hat das Nichts auch viel mit Zukünften zu tun. Beides gibt es (noch) nicht. Beides hat Potenziale, Möglichkeiten.

- Darüber hinaus fasziniert mich das Horror- und Grusel-Genre in seiner Auseinandersetzung mit dem Unbegreiflichen, Unfassbaren, Unsichtbaren. Diesbezüglich steht auf meiner Lektüreliste:

  • Perdido Street Station von China Miéville
  • Station Eleven – Das Licht der letzten Tage von Emily St. John Mandel
  • Women and other monsters – Building a new mythology von Jess Zimmermann

- Bereits gelesen und für gut befunden:

  • Nichts tun von Jenny Odell
  • Im Staub dieses Planeten von Eugene Thacker
  • Vita Contemplativa von Byung-Chul Han

- Filme:

  • Hereditary – Das Vermächtnis (Familiengeheimnisse)
  • Midsummer – Das Böse wird ans Licht kommen (Geheimnisse einer Dorfgemeinschaft)
  • Chihiro´s Reise ins Zauberland (Geheimnisse unserer Welt)

unsere Gesprächspartner

Martin Ciesielski

medienmosaik.de

Martin A. Ciesielski ist Co-Autor und Mit-Herausgeber der Reihe „Digitale Führung“ im Springer Gabler Verlag und lebt in Berlin. Er studierte Bankbetriebswirtschaft, Publizistik und Kommunikationswissenschaft sowie Psychologie und Management. 2001 gründete er die medienMOSAIk GbR, die mit den Schwerpunkten Digitale Führung und Social Prototyping Organisationen bei ihren nachhaltigen Transformationen begleitet. Als Autor, Berater, Trainer und Coach ist es ihm wichtig, die Welten der Wirtschaft mit Methoden und Praktiken aus der Theater-, Kunst- und Kulturwelt zusammen zu bringen. Dabei liegt sein Fokus auf dem Einsatz von Methoden aus dem Improvisationstheater – sogenannte Angewandte Improvisation.

Aktuell arbeitet er als Co-Gründer im Netzwerk ZUKÜNFTE an Methoden und Ansätzen zur Vermittlung von Futures Literacy. Ein Ansatz ist das ZUKÜNFTEtheater, das dabei hilft, Emergenzen und komplexe Formen der Selbstorganisation erlebbar zu machen und die gemeinsamen Imaginationskräfte zu stärken. Durch den Theateransatz setzt er in seiner Arbeit auch viel Körperarbeit und aktuelle Forschung zu den Zusammenhängen zwischen Körper und Geist (u.a. Embodimentforschung, Kognitionswissenschaftliche Achtsamkeitsforschung, Spielforschung) ein. 

Bei aller Ernsthaftigkeit der Themen, mit denen er und seine Auftraggeber beschäftigen, darf der Humor allerdings nie zu kurz kommen. Daher bezeichnet er sich zu Beginn in Vorstellungsrunden auch gerne als „Banker & Clown“.

Podcast-ICHWIRALLE-Maike-Schaebitz

Maike Schäbitz

short-cuts.de

Maike Schäbitz ist Redakteurin bei SHORT CUTS. Bei Stationen in Wissenschaft und Wirtschaft hat sie Begeisterung für und Streben nach gelingender Kommunikation entdeckt. Ständig auf der Suche nach Wegen und Inspiration für eine erfolgreiche, liebevolle und friedliche Gestaltung des Miteinanders moderiert sie diesen Podcast.